
Nach dem Mittag (bis dahin hatte ich wieder aller Hand Autokran zu erledigen) ging es raus an die frische Luft. Mit der Sprachschule fuhr ich zum “Cementerio General de Chile”, dem Hauptfriedhof von Chile. Ich war ja nun schon auf einigeren größeren Friedhöfen mit Mausoleen, aber dieser war wirklich schöner und einzigartiger als alle anderen. Wir begannen unsere Tour am Haupteingang. Zu Anfang riesige Mausoleen und je weiter man von der Hauptstraße abkam immer kleiner werdende Gräber. Was man deutlich sehen konnte, was die Menschen jeweils für einen Eindruck hinterlassen haben. Die Gräber von Personen, die anderer Menschen Tod und Leid verursacht haben, waren teilweise zerstört, mit Graffiti/Schimpfworten beschmiert und werden wohl regelmäßig auch in Brand gesetzt. Gräber von Personen, die stets liberal waren und für Chiles Freiheit und Rechte gekämpft haben, waren reich verziert. Herausragend war hier das Mausoleum von Jose Manuel Balmaceda Fernández, dem Präsidenten von Chile von 1886-1891. Die Tür war mit Blumen verziert und innen lagen einige Zettel. Mit aller Würde und Entschuldigung nahmen wir uns einen Zettel und lasen ihn vor. Der Brief war von einer Krankenschwester. Sie bedanke sich bei dem Präsidenten, dass sie alle Tests bestanden habe und nun auch Glück und Lebensfreude zu den Menschen bringen könne, selbst wenn es am Lebensende sein würde. Mit Beeindrucken und Bedacht legten wir den Zettel vorsichtig zurück und setzten unsere Tour fort. In Chile sind die Menschen sehr gläubig. Sie glauben allerdings nicht sehr an die Institution Kirche sondern vielmehr an Jesus selbst. Zentral im Friedhof gelegen, befand sich also ein Kreuz. Davor standen Kerzen, welche angezündet werden, um Hilfe, Kraft, Stärke, Beistand oder was auch immer zu erbitten oder sich zu wünschen. Am Kreuz selbst bildeten Opfergaben in Form Blumen, Bildern, signierten Tafeln bereits einen Berg, die für erfüllte Ziele, Vorstellungen, Wünsche danken sollten. Wirklich beeindruckend. Um die Ecke stand ein riesiges Mausoleum. So riesig, dass es das einzige Mausoleum der Welt ist, welches einen Fahrstuhl besitzt. Wirklich surreal. Als wir uns immer mehr entfernten, kamen wir an noch leeren Gräbern vorbei, die jedoch bereits Familiennamen trugen und quasi darauf warteten geschlossen zu werden. Noch viel absurder. Für einen Chilenen ist es jedoch etwas ganz besonderes hier begraben zu werden, sei es noch so teuer. Noch weiter entfernt, verschwanden die Mausoleen und es gab “nur noch” normale Gräber mit einfachen Kreuzen. Was jedoch nicht einfach war, war der Schmuck. Das gesamte Feld sah aus wie ein einziger Flohmarkt, kunterbunt, viel zu viele Details, dass das Auge nicht einfachen konnte. Das eine Grab war weihnachtlich geschmückt, während das nächste mit Luftballons und allem Schnickschnack Geburtstag feierte. Pavillons spendeten Schatten und hier und da stand eine Gartenbank. Man bemerke, Platz gab es eigentlich keinen dafür. Und dann saß da tatsächlich eine Familie, die gefeiert hat. So war die gesamte Familie beisammen. Es ist wirklich interessant, wie unterschiedlich Menschen mit dem Tod umgehen. Man sollte immer froh sein, mit dem was man hatte, auch wenn Verlust meistens sehr weh tut. Noch einige Schritte weiter und wir kamen zu einem Feld, wo Wehrdienstleistende in Fuhren abgeladen wurden und ihre Namen nicht mehr zugeordnet werden konnten. Hier sind die Kreuze unbeschriftet und nicht, wie die sonstigen Kreuze weiß, sondern braun. Aber auch hier sind es hunderte und die meisten zwischen 16 und 30 Jahre alt. Zum Schluss kamen wir noch an einem Denkmal vorbei, welches jegliche Namen trug, denen man keine Verwandten zuordnen konnte. Da es hier üblich ist, sich mit der Familie ein Grab zu teilen, haben all jene hier ein gemeinsames Grab gefunden, die sonst keinen mehr hatten, um so doch wieder jemanden zu haben. Eine schöne Geste, wie ich finde. Ich weiß nicht, ob es der große Friedhof war der mich müde machte und die vielen Kilometer, die wir gelaufen sind oder dass sich der Tag langsam dem Ende neigte, sich Melancholie über uns alle legte und die gesamte Stimmung so eine ganz besondere war, aber ein Stück weit habe ich heute wieder mehr verstanden, dass der Tod, ebenso wie die Geburt, die Lebensfreude oder auch einmal die Traurigkeit einfach ein Teil unseres Leben, also auch von uns ist.