Kindheitserinnerungen

Ich glaube, heute war das erste Mal, dass ich innerhalb der gleichen Stadt, die Unterkunft gewechselt habe. Da Ellen und Alan heute in den Urlaub fahren, werde ich noch bei meiner nächsten Adresse abgesetzt und wir verabschieden uns mit einem Wiedersehen in der Schweiz. Carol, die ich vor über einem Jahr in Uruguay Kennenlernen durfte, erwartet mich schon voller Vorfreude. Nachdem wir die ersten Neuigkeiten ausgetauscht haben, nimmt mich Carol mit auf einen kleinen Markt, der nur Donnerstags in diesem Stadtviertel stattfindet. Als sie von den Verkäufern begrüßt wird, erklärt sie mir, dass sie sie schon kannten, als sie noch ein kleines Mädchen war. Sie wissen auch genau, was Carol essen mag. Ein Pastel (frittierte Teigtaschen) mit Palmito (Palmenfleisch) und Käse. Da ich Palmenfleisch bisher noch nie hatte, nehme ich natürlich exakt das gleiche. Der Stand ist wirklich sehr beschäftigt. Die Leute kommen mit richtig langen Listen zum Mitnehmen an. Ich esse also mein erstes brasilianisches Pastel und Carol wartet gespannt auf meine Reaktion. Für sie sind das hier Astreine Kindheitserinnerungen, also sage ich mal lieber nichts falsches, aber es schmeckt auch wirklich gut. Ich schieße noch das Foto des Tages und zum Abschied wünschen sich alle noch frohe Ostern und wir gehen wieder zurück nach Hause. Nachdem die Zwischenmahlzeit verdaut wurde, fahren wir mit ihren Eltern in eine Churrascaria. Auch hier kommen sie seit mehreren Jahrzehnten her und bestellen immer das Gleiche. Nicht nur ich bin der heutige Anlass dazu, sondern auch der Besuch eines Cousins, den Carol nur etwa alle 4 Jahre sieht. Dementsprechend gesprächig war die Runde auch. Auf dem Tisch finden in der Mitte Ruculasalat, angebratene Polenta, Reis, Farofa und ein paar ordentliche Stücken Rindfleisch Platz. Jeder kann sich das nehmen, was und wie viel er mag. Das Essen ist super lecker. Ich kann also verstehen, wieso sie hier immer das gleiche bestellen. Ja mehr Zeit vergeht, umso mehr fängt mein Ohr an zu schmerzen und umso ruhiger werde ich. Ich habe nicht so die Eile, irgendwas zu tun, denn der Schuster hat ja bekanntlich die schlechten Sohlen. Nachdem wir das erforderliche Antibiotikum heute morgen nicht ohne Rezept bekommen haben, habe ich alles schon wieder abgeschrieben. Carol scheint mich aber sehr gut zu kennen und kümmert sich. Nach dem Essen fahren wir direkt zum SUS (Sistema único de sacude), dem einzigartigen Gesundheitssystem. Was so einzigartig daran ist, werde ich bald heraus finden. Nachdem Carol bereits im Auto gegoogelt hat, ob es auch für mich, also einen Ausländer, funktioniert, stehen wir jetzt an der Aufnahme und sie regelt alles für mich. Wir ziehen eine Nummer, kommen dran und mir wird mit meinem Reisepass eine Gesundheitsnummer kreiert, die jeder Brasilianer hat. Ich bin also wieder einmal ein Stück mehr in Südamerika angekommen. Im Wartebereich nehmen wir Platz und werden bald von der Schwester aufgerufen, die alles mögliche checkt und uns dann einen Termin gibt. Leider können wir zu diesem Termin nicht, da Carol da ein Videomeeting mit ihrer Arbeit hat. Sie Ärztin wird also gefragt und wir kommen direkt als nächstes dran. Meine Ohren werden inspiziert, ich bekomme ein Antibiotikum, Ibuprofen und ein Betäubungsmittel als Tropfen für das Ohr verschrieben. Wir können alles vor Ort in der Apotheke abholen und ich mache mich bereit zum zahlen aber wir gehen wieder zum Auto. Ich schaue verwundert drein und mir wird erklärt, dass das SUS für jedermann kostenlos ist. Ich falle etwas vom Glauben ab. Selbst für mich als Deutsche, das ist doch unfassbar. Als wir zu Hause ankommen, halte ich die Schmerzen kaum noch aus und bin Carol unfassbar dankbar, dass sie mich dorthin gebracht hatte. Ich nehme all meine Medikamente und nachdem die Wirkung einsetzte, schlummerte ich zugedröhnt weg. Zum Abendessen werde ich wieder geweckt. Ich kann es kaum fassen. Mag es daran liegen, dass wir in Brasilien zu Hause sind oder daran, dass die Eltern schon Recht betagt sind, aber es gibt ein originales deutsches Abendessen, Brötchen mit Käse und Wurst. Mit dem Käse bin ich natürlich gänzlich zufrieden. Da ich seit Weihnachten kein Fernsehen mehr geschaut habe, wünsche ich mir einen gemütlichen Filmabend und genau das machen wir auch.

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