Aye, a wee stopover

Straßenmusikerin mit Dudelsack in Glasgow

Eigentlich wollte ich nur einem Freund in Schottland zum Geburtstag gratulieren. Am Ende des Telefonats hatte ich ein riesiges Grinsen im Gesicht und wir buchten gemeinsam einen Flug nach Glasgow. Robert hat keinem von unserem Telefonat erzählt, denn an dem folgenden Wochenende sollte es eine kleine Collectibles-Reunion geben, ein kleines Wiedersehen. Ihr wisst nicht, wer die Collectibles sind? Großer Fehler!. Dann bringe ich mal schnell Licht ins Dunkle. Die Collectibles sind eine Gruppe von Wanderfreunden, die sich alle 2022 in Schottland alleinreisend kennen gelernt, nach und nach eingesammelt und von da an immer wieder längere Wanderungen miteinander unternommen haben. Kurz gesagt, ein Sammelsurium von Leuten aus Europa. Die Ur-Collectibles, wir sind mittlerweile fast 20 Leute, haben sich an diesem Wochenende alle in Glasgow versammelt, nicht um öde Regeln oder langweilige Maßnahmen zu besprechen, nein, sondern um in guter Gesellschaft und mit gutem Whisky beim Hoolie in the Hydro in Glasgow zu traditionell schottischer Musik abzurocken. Und da ich eines der Gründungsmitglieder bin, durfte Patricia-Radio natürlich nicht fehlen. Lange Rede, kurzer Sinn: der Zug brachte mich nach Frankfurt, der Flieger nach Glasgow und schon war ich in Schottland und eigentlich schon wieder am Reisen. Von Patricia I., Roberts Mutti, wurde ich vom Flughafen abgeholt und dann ging es ins Zuhause in Glasgow. Wie ich auch schon zu Hause in Deutschland festgestellt habe, hat es sich auch hier angefühlt, als wäre ich nie weg gewesen. Mit offenen Armen und einem warmen Herzen wurde ich empfangen. Unsere Vorfreude, die anderen zu überraschen steigerte sich ins unendliche und am nächsten Tag kam dann endlich Kat aus der Speyside-Region in Schottland gefahren. “Geh schnell ins Schlafzimmer, da wartet eine Überraschung auf dich! Los, los!”, h9rte ich Robert noch sagen. Als Kat mich dann sah, brauchte sie einige Minuten. Sie dachte, ich sei noch in Südamerika. Nachdem die Nerven etwas heruntergefahren waren, brachte uns die Bahn ins Stadtzentrum, wo wir Hannah aus Derby, England, abholen wollten. Während die anderen beiden, sie normal begrüßten, bekam sie eine Umarmung von hinten von mir. Sie freute sich, hatte aber keine Ahnung, wer es war. Als ich dann mit meinem unverkennbaren deutschen Akzent anfing, Englisch zu reden, brach aus ihr heraus: “Auf keinen Fall, das kann nicht sein.”. Ein kurzer Blick und es war doch wahr. Auch sie brauchte einige Zeit, um klar zu kommen. Mit gefüllten Mägen fuhren wir wieder zu Robert zurück und schlüpften in unsere Tartans/Quillts. Unabgesprochen und überraschend endeten wir alle 4 im Partner-Look im grauen Tartan.

Bereit für das schottische Musikfestival

Wir wärmten uns mit guter Musik und Whisky auf, bevor es zum Ovo Hydro zum Festival ging. Dort angekommen, schlug mit dem ersten Ton vom Dudelsack und der Violine das Herz höher. Wir machten uns auf die Suche nach Darren aus Edinburgh, einem weiteren Mitglied der Collectibles, bevor wir den Abend genießen konnten. Die Stimmung war von Anfang an gut, gipfelte aber mit gälischem Gesang und eingehenkelt, wie auf einem klassischen Ceilidh, im Kreise tanzend. Eine Band nach der anderen heizte den Leuten ein. Die Zeit vergessen und einfach nur die Gemeinschaft genießen, das klappt super mit den Collectibles. Der krönende Abschluss war dann mit “Auld lang syne” perfekt. Die eigenen Arme gekreuzt, nahmen wir uns alle gegenseitig in die Hände, bildeten einen riesigen Kreis, der eher der Form einer Schlange entsprach und schrien gemeinsam das Lied mit und verpassten uns so gegenseitig Gänsehaut. Mein Blick wanderte die dadurch entstandene freie Gasse entlang. Das war mein Moment. Nach so langer Zeit krank und ohne Energie, werde ich das erste Mal, nachdem es mir so schlecht ging, genau da durch rennen. Auf und los, der Gang wurde immer länger und ich nahm Fahrt auf. Angefeuert, vergaß ich alle Strapazen, die ich hinter mir lassen konnte. Und dann war da plötzlich eine Sackgasse. Kurz umdrehen und zurück rennen. Nichts da. Schneller als ich gucken konnte, landete ich auf dem Po im See aus Bier und Cider. Meine Wendung war dann doch nicht so grazil wie geplant, aber nach einem Lacher ging es weiter und zurück zu meinen liebsten Wanderfreunden. Da Rob jeden kennt, fanden wir auf dem Weg nach draußen sogar jemanden, der uns, Hannah quer auf unseren Beinen auf der Rücksitzbank liegend, nach Hause fuhr. Was ich bei einem nagelneuen VW Golf in Europa allerdings nicht erwartet habe: Wir hatten einen Platten. Habe ich schlechtes Charma aus Südamerika mitgebracht? Kann das sein? Aber kein Problem, ich bin ja jetzt Profi im Umgang mit Platten Reifen. Wir haben kein Ersatzrad! Haben wir einen Mini-Kompressor? Tatsächlich. Also schnell Luft rein und weiter geht’s. Viel zu früh am nächsten Morgen, waren wir alle auf, um Kat schon wieder zu verabschieden. Da alle etwas durchhingen, ich aber Hunger hatte, machte ich mich daran, allen ein gutes Frühstück zuzubereiten. So kam es dazu, dass die einzige Deutsche, Häggis, ein traditionell schottisches Frühstück, zubereitete. Natürlich gab es auch noch andere Dinge, aber ich hatte darauf bestanden, es wenigstens einmal während meines Aufenthaltes hier zu essen, da es wirklich lecker ist. Da auch frische Luft nach einem solchen Abend gut tut, ging es deshalb in die Stadt auf die Weihnachtsmärkte. Leider musste ich feststellen, dass deutsche Weihnachtsmärkte mit Abstand deutlich schöner sind. Hier in Glasgow ist es im Grunde ein großer Rummel mit verschiedenen Fahrgeschäften und ausschließlich, wie wir so schön sagen, Fressbuden. Was mich etwas überrascht hat, waren die Buden mit der Aufschrift “Deutsche Bratwurst”. Nach einem Blick auf den Grill, stand fest, das ist definitiv keine deutsche Bratwurst. Halb so wild, ich bin ja in Schottland und mag es ja lokale Dinge zu probieren, also gingen wir runter vom Weihnachtsmarkt, in ein Restaurant und schlugen uns dort die Mägen voll. Einen kurzen Zwischenhalt legte Zack aus Glasgow, ursprünglich aus Texas kommend, ein, als wir gerade fertig waren mit Essen. So konnte auch das letzte Gründungsmitglied es möglich machen, zumindest ganz kurz Hallo zu sagen. Hiernach liefen wir etwas planlos durch die Gegend, um uns die Zeit zu vertreiben, bevor Hannah in den Zug Richtung London und Darren in den Bus Richtung Edinburgh stieg. Auch von Zack verabschiedeten wir uns wieder und dann waren es wieder nur noch Rob und ich. Am nächsten Tag klingelte früh der Wecker, es war Montag und Montag ist ja bekanntlicher Weise Arbeitstag. Nein, keine Angst, nicht für mich, aber für Rob. Und da er im Moment in Dundee an der Ostküste arbeitet, dachte ich mir, fahre ich doch einfach mit. Als dann die Sonne hinter den schneebedeckten Highlands um 8:30 Uhr aufging, konnte ich auch endlich in der Gegend herumschauen. In Dundee wurde ich an der Highschool herausgelassen und hatte den gesamten Tag Zeit, die Gassen unsicher zu machen. Zunächst ging es auf den nahegelegenen Aussichtspunkt mit dem Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges “Law”. Oben angekommen, öffnete sich der Blick und ich konnte die Nordsee mal von einem ganz anderen Blickwinkel sehen. Da ich hier einen super Überblick über ganz Dundee hatte, machte ich mir erstmal einen Plan, wo ich langgehen möchte, was natürlich wie immer am Ende nicht geklappt hat. Treppen, große nicht überquerbare Straßen, Stadtchaos, andere, viel süßere Gässchen und Gebäude brachten mich immer wieder vom Weg ab. Am Ende war ich im Dudhope Park mit seinem weißen Schloss. Viel schöner aber als das Schloss, fand ich ein Gebäude in dessen unmittelbarer Nähe. Witzigerweise sind in meinem persönlichen Highlight von Dundee nur Wohnungen. Als ich später einem Arbeitskollegen von Rob davon berichtete, meint er, er sei dort geboren, da es früher mal ein Krankenhaus war.

Ehemaliges Krankenhaus Dundee

Von hier nach dort, an etlichen Kirchen und super schönen Wohnhäusern vorbei, kam ich irgendwann an der Wasserkante an. Genau hier steht das V&A-Museum, in das ich mich auch begeben habe, nicht nur um mich aufzuwärmen. Etwas unerwartet für mich, aber super interessant und auch irgendwie zu meiner Weltreise passend, gab es hier eine riesige Ausstellung zu japanischen Kimonos. Ganz viel Geschichte zur Entwicklung vom 18. Jahrhundert – heute und noch mehr wunderschöne Ausstellungsstücke mit extrem filigranen Mustern bestickt. Vielleicht muss ich doch einen Halt in Japan einlegen, mal schauen… Irgendwann hatte Rob dann auch Feierabend und wir gönnten uns Fish & Chips, was auch ein Muss ist, wenn man in Großbritannien ist. Gutes Essen macht einfach glücklich und deshalb gab es diese Mahlzeit beim mehrfach ausgezeichneten Familienunternehmen “The Silvery Tay” in Dundee. Auf der Fahrt zurück konnte ich noch einen Blick auf das beleuchtete Stirling-Castle erhaschen, bevor wir wieder zu Hause waren. Leider hieß es am nächsten Morgen schon wieder Abschied nehmen. Rob fuhr zur Arbeit und ich haute mich nochmal eine Runde aufs Ohr, bevor ich von Patricia I. wieder abgeholt und zum Flughafen gebracht wurde, um so mein winzigen Zwischenhalt in Schottland, “my wee stopover”, definitiv mit zwei lächelnden Augen beenden kann. Ich war definitiv nicht zum letzten Mal in Schottland. Das weiß jeder von den Collectibles.

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