
Nach ganz langem Hin- und Herüberlegen habe ich mir in Cusco während eines Telefonats mit meinen Eltern das erste Mal getraut auszusprechen, dass ich Heimweh habe. Heimweh! Das kannte ich bisher nicht von mir. Aber nach dem, was ich hinter mir habe, kann man schon einmal Heimweh bekommen. Dies ist seit längerem endlich Mal wieder ein Tagebucheintrag. Nicht, weil ich keine Lust hatte zu schreiben oder weil ich nichts zu berichten hatte, nein, einfach weil ich schlicht und ergreifend zu schwach war. In den vergangen Tagen und Wochen hat mich meine Gesundheit etwas im Stich gelassen. Nachdem ich von Salmonellen geheilt war, bekam ich einen Atemwegsinfekt, den ich nicht wirklich ernst genommen habe. Dazu kam dann die Höhenkrankheit in Puquio und die Zwangspause in Abancay. Als ich in Abancay zudem Übelkeit und Erbrechen bekam und nicht einmal mehr die Antibiose für den Atemwegsinfekt zu mir nehmen konnte, geschweige denn einen Schluck Wasser, war klar, ich muss ins Krankenhaus und alles über die Vene bekommen. Das öffentliche Krankenhaus war eine Erfahrung für sich. In der Notaufnahme kamen wir gottseidank schnell dran, da wirklich jeder in die Notaufnahme geht, ist das Gebrechen noch so klein, aber somit war ich der schwerste Notfall. Nicht lange und ich hatte meinen intravenösen Zugang und eine laufende Infusion inklusive Medikamente gegen die Übelkeit, die bei mir aber nicht so richtig anschlagen wollten. Ich hatte eine gratis Nacht in der Notaufnahme gebucht. Mit 2 dicken Alpakadecken zugedeckt schlafe ich neben dem offenen Fenster in einer Nische mit einem weiteren Patienten, der von Übelkeit geplagt wird. Über die Nacht beruhigt sich meine Lage und am Morgen werde ich von Juan Pablo, der selbst immer noch krank ist, begrüßt. Er ist gekommen, um den nächsten Medikamentenschub zu bezahlen. In den öffentlichen Krankenhäusern läuft es nämlich anders hier, wenn man kein peruanischer Staatsbürger ist. Man muss die Medikamente in der Apotheke des Krankenhauses kaufen, bezahlen und zu den Schwestern bringen, die sie dann verabreichen. Über den Tag weg werden nebenan auf der Arbeitsfläche wie ich es von erzählungen von früher kenne Mulltupfer per Hand gerollt. Es wird ein wenig gerollt, dann mit dem Handy gespielt und dann mit den Kollegen gequatscht und wieder etwas gerollt. Personal gibt es hier extrem viel, gearbeitet wird eher weniger. Der einzige, der sich wirklich kümmert, ist der eine Arzt, der hier herumrennt. Da sich mein Erbrechen beruhigt hat, werde ich mit einem guten Plan nach Hause gelassen. Wir legen uns schlafen und als ich am Abend aufwache, geht das ganze Spiel wieder von vorne los. Alles was ich einnehme, findet seinen Weg zurück in die Freiheit. Wir zögern nicht lang und gehen genau dorthin zurück, wo wir her gekommen sind. Der Arzt arbeitet gottseidank immer noch und auch die Schwestern erkennen mich gleich. Heute bekomme ich ein anderes Bett in einem offenen Raum mit 7 anderen Patienten. An mir fließt alles nur vorbei. Ich nehme alles wahr aber mir ist alles egal. Männchen oder Weibchen ist hier egal. Ich bin die Jüngste im Raum, das Alter reicht bis 94 Jahre. Pro Patient ist mindestens ein Familienangehöriger da, der die Person betreut, die Haare kämmt, die Nägel schneidet, den Liebsten bettet und beim Toilettengang hilft. Ich muss nicht auf Toilette, da ich völlig ausgetrocknet bin und seit 2 Tagen nichts gegessen habe. Ich bekomme ab und zu Medikamente, wie Dimenhydrinat gegen Übelkeit, Omeprazol gegen meine Magenentzündung, ein Antibiotikum gegen meinen Atemwegsinfekt und Metamizol oder Paracetamol gegen mein allgemeines Krankheitsgefühl und Halsschmerzen. Eine Infusion mit Natriumchlorid läuft dauerhaft, aber irgendwie wird alles nicht besser. Ich bleibe eine weitere Nacht. Juan Pablo kommt jeden Tag, um mich mit neuen Medikamenten zu versorgen. Da sich mein Zustand nicht verbessert, sondern eher verschlimmert, beschließt er, mit der deutschen Botschaft zu telefonieren, die ihn allerdings zunächst ignorieren. Nach mehreren Anrufen, gehen sie schließlich ans Telefon, zusammen mit seiner Mutter, erreichen sie, dass ich von einem Krankenwagen abgeholt werde und nach Cusco in eine Privatklinik verlegt werde. Von hier an trennen sich unsere Wege.

Ich fahre in ärztlicher Begleitung 4 Stunden durch die Berge nach Cusco, während Juan Pablo mit dem Bus zurück nach Ica und Lima fährt, 18 Stunden lang. Unser gemeinsamer Urlaub ist also nun offiziell vorbei. Wie schlecht es mir geht, realisiere ich erst im Krankenwagen. Meine Herzfrequenz beträgt 38/min, ich habe einen ordentlichen Kaliummangel. Kein Wunder, ich habe ja nur Natrium. Und Chlorid im anderen Krankenhaus bekommen. Nach einer holprigen Fahrt komme ich im 5°C kalten Cusco mit 3400 hm an. Ich sitze in meinen kurzen Schlafsachen auf dem Bett. Ich fühle, dass meine Hände kalt sind, aber mein körper fühlt sich gut mit der Kälte. Meine Haut sieht sowieso seit Tagen dunkler aus, als normalerweise und sie glänzt. Meine Hände sind geschwollen. Ich betrachte mich und denke mir: “Ich sehe aus, wie ein richtiger ITS-Patient.” Wahr haben will ich es aber immer noch nicht so ganz. Aber mein körper kann seit Tagen nichts anderes als Schlafen. Tag, wie Nacht. Und wenn ich nicht schlafe, dann quäle ich mich mit Übelkeit und Erbrechen herum. Ich werde mit einem Rollstuhl in mein Privatzimmer gebracht. Ich habe 2 richtige Betten und eine Panoramasicht auf Cusco. Nach den vergangenen Tagen auf der harten Trage, ist es ein Segen. Und es ist ruhig hier und dunkel. Man lernt es zu schätzen, wenn die ganze Nacht das Licht an ist und die Krankenschwestern keine Rücksicht geben. Die ganze Nacht war Betrieb, aber nun bin ich allein in einem Raum der größer ist, als die Nächte, in denen ich mir einen Raum mit 7 Peruanern geteilt habe. Medikamente laufen auch schon über eine neue Flexüle, denn die andere hat nicht wichtig gelegen, somit ist die ganze Zeit alles schön neben meiner Vene in meinen Arm gelaufen. Ich, schmerztolerant, wie ich bin, habe es nicht wirklich bemerkt. Am nächsten Morgen geht es mir schon komplett anders. Versorgt mit einer Vollelektrolytlösung würde ich zum Leben erweckt.

Die nächsten Tage werde ich super versorgt, es wird endlich ein wenig Diagnostik gemacht und ich beginne in kleinen Portionen extrem langsam wieder zu essen. Nach 3 Tagen kann ich die Travelers clinic in Cusco verlassen, ohne auch nur einen Cent bezahlt zu haben. Ich bin noch extrem wackelig auf den Beinen, weshalb mich das Taxi in meine Unterkunft bringt. An diesem Tag, hatte ich das erste Mal den Gedanken, nach Hause zu fahren. Aber noch bin ich zu schwach. Doch der Gedanke wächst in mir. Jedes Mal, wenn ich in meinem Bett im Hostel aufwache, will ich zu Hause sein. Zu Hause, wo man sich um mich kümmert, zu Hause, wo man mich liebt, zu Hause, wo ich nicht allein bin. Ich habe erstmal 3 Nächte in meiner Unterkunft gebucht, welche ich auch brauche. Ich liege nach wie vor den gesamten Tag im bett und schlafe. Ich versuche mittlerweile etwas aktiver zu sein und etwas fern zu schauen. Ein Telefonat in die Heimat und es steht fest. Ich fliege über Weihnachten nach Hause! Meine Laune wechselt schlagartig. Hoffnung macht sich breit. Heute ist außerdem, der erste Tag, an dem ich klar denken kann und versuchen kann, Dinge zu planen. Biesti steht sicher in Abancay bei Freunden der Familie von Juan Pablo. Eine Sorge weniger. Ich fliege also nach Lima, die lange Busfahrt schaffe ich nach wie vor nicht. In Lima erhole ich mich ein paar weitere Tage extrem gut und befinde mich nun am 20. November am Flughafen in Lima mit Ziel Amsterdam/Frankfurt. Nach über einem Jahr reisen kehre ich zurück in die Heimat. Viel früher als gedacht, aber im neuen Jahr kehre ich zurück nach Südamerika. Ich bin noch nicht fertig hier. Dann aber, frisch gestärkt, voller Kraft und 100% gesund. Jetzt wird sich auskuriert und nichts anderes. Weihnachten mit der Familie, habe ich speziell im letzten Jahr extrem vermisst. In diesem Jahr ist es möglich. Es ist aber nur möglich, weil ein besonderer Mensch, die gesamte Zeit an meiner Seite war und alles möglich gemacht hat, was in seiner Macht stand. Ich bin extrem dankbar einen solchen Menschen, wie Juan Pablo inklusive seiner Familie gefunden zu haben. Danke, dass du es mir ermöglichst, dass ich das schönste Fest im Jahr mit meinen Liebsten verbringen kann und Zeit zum Genesen in der Heimat habe.
