Stacheliger Aufstieg

Nachdem wir alle aus dem Hostel in Kapstadt ausgecheckt haben, kann es losgehen. Ed, kenne ich vom gemeinsamen Yoga, er ist aus Portugal und Jary lerne ich erst jetzt kennen, er ist aus den Niederlanden und unsere Mitfahrgelegenheit. Wir fahren eine Stunde Richtung Osten bis wir am Helderberg Naturreservat ankommen. Wir zahlen 30 Rand Eintritt pro Person, was etwa 1,50€ sind und können nach 1 weiteren Kilometer unser Mietauto sicher parken. Direkt mit den ersten Schritten merke ich, dass ich heute kämpfen werden muss. Die beiden Jungs sind super fit und schnell unterwegs, aber ich versuche Schritt zu halten. Anfangs ist der Weg noch wie eine Schotterpiste nur schmaler. Gottseidank haben wir Ed, der die Route herausgesucht hat, sonst wären wir völlig verloren in dem Wanderwegenetz hier. Wir steigen allmählich auf, aber durch das Tempo sind wir jetzt schon alle klitschnass geschwitzt. Nach einer Dreiviertelstunde gefühlten Sprints den Berg hoch, kommen wir am wirklichen Bergwanderweg an. Ab nun wird es richtig steil. Ich bin verblüfft, wie grün ein Berg sein kann. Da der Weg richtig feucht ist, sprießen an den Seiten die Blumen und färben den Hang gelb. Im Zickzack geht es nach oben. Ed und Jary immer voraus. Und ich mit all meiner Kraft und Energie hinterher. Das ist mal ein Workout heute. Wir klettern die roten Sandsteinfelsen nach oben und genießen schon jetzt immer mal die Aussicht auf die uns umgebende Bergwelt und das Meer. Allen gefällt uns der Wanderweg sehr. Wir steigen an der Spalte zwischen Westgipfel und Helderberg-Dom auf und sind wieder wie gestern von der Stärke des Echos beeindruckt, schreien ein bisschen in der Gegend herum und genießen einfach die wunderschöne Kulisse die uns umgibt. Als wir noch etwas weiter emporsteigen, eröffnet sich uns der Blick auf den gesamten Dom. Einfach Wow! Ich finde keine Worte aber die Jungs sehen sich in den Bergen von Herr der Ringe wieder und ich stimme eins zu eins überein. Oben am Pass angekommen, der den Westgipfel mit dem Dom verbindet, müssen wir uns entscheiden. Der Westgipfel ist näher und etwas niedriger. Der Dom ist der höchste Punkt hier und noch weiter entfernt. Die Jungs fragen mich, da ich mal das schwächste Glied in der Kette bin aber für mich steht es außer Frage, dass wir zum höchsten Punkt aufsteigen, wenn wir schon einmal hier sind. Wir wählen also die rechte Abzweigung  und anstatt weiter aufzusteigen, geht es erstmal auf der anderen Bergseite wieder ein Stück nach unten. Kein Wanderer mag dieses Gefühl. Wir sind nun auf der Nordseite, die Sonne knallt hier ordentlich. Der Wanderweg war schon die ganze Zeit schmal aber nun wird er schmaler und schmaler. Ein falscher Tritt und wir stürzen ab. Wir laufen genau an der Kante des Berges entlang. Ab hier ist höchste Konzentration angesagt. An einer Stelle steht hohes Gras, welches den Weg völlig verdeckt. Mit Gras im Gesicht versuchen wir den Weg zu erahnen. Er scheint breiter zu sein, aber es ist nur Gras, das den Weg breiter macht. Also ja nicht täuschen lassen und ins Leere treten. Die Vegetation hat sich mit der Sonneneinstrahlung völlig verändert. Der Weg wird dauerhaft von einer Art von Kakteen begleitet. Die Beine werden ordentlich zerkratzt. Alles gehört mit zu dieser Erfahrung. Meine Beine stört es weniger. Auf die Hände muss man mehr aufpassen, da es bald wieder steil nach oben geht, müssen die Hände wieder mit wandern und wir fassen das ein oder andere Mal in einen Kaktus. Erst ist man erschrocken, dass da ein Kaktus ist und dann lacht man über sich selbst. Wir lachen sowieso sehr viel. Wir haben einen gleichen Sinn für Humor und Jary könnte man direkt auf eine Bühne stellen, um Comedy zu machen. Sein Mund steht nie still. Und dann stehen wir vor dem wohl steilsten Stück heute. Eigentlich ist es eine Wand, wir sehen, wie der Weg senkrecht hinauf führt. Hoch okay, aber wie soll ich das wieder herunter kommen. Wäre ich allein gewesen, wäre ich hier definitiv umgedreht, das ist einfach zu gefährlich. Da wir aber zu dritt sind, ermutigen wir uns gegenseitig und spurten mit Vorsicht Stück für Stück auf dem teilweise sehr losen Gestein nach oben. Nach hundert Höhenmetern kommt ein Stück zum Ausruhen. Wir können uns kurz sammeln bevor es wieder steil wird. Im Grunde ist es genauso steil aber der Untergrund ist nun solider, gibt uns also mehr Sicherheit. Wir klettern die Felsen nach oben und wieder frage ich mich, wie ich hier nur herunterkommen soll. Die Steine bieten super Halt aber es ist einfach nur unglaublich steil. Irgendwann kommen wir oben an und wieder stellt sich heraus, dass dies nicht der Gipfel ist. Wir klettern zwischen den hellgrauen Sandsteinfelsen oben entlang, springen, aber wir alle merken dass wir ein Pause brauchen. Die Beine werden langsam schwach. Über die nächsten 3 Gipfel und wir sind endlich angekommen. Die Sicht ist extrem gut. Von 1137 Metern können wir bis ans Kap der guten Hoffnung schauen, sehen alle Berge, die ich die letzte Woche erwandert habe in Kapstadt, sehen den False Bay, die riesige Bucht zwischen atlantischem und indischen Ozean und die Bergkette im Nordosten. Wir stärken uns, genießen es, die Beine auszustrecken, legen uns hin, snacken und bekommen Besuch von einem Vogel, mit dem ich meine Sonnenblumenkerne liebend gern teile. Ein kleines Abenteuer zum Abschluss: wir klettern alle drei auf die Markierung des Gipfels und schießen unser Gipfelbild, während wir alle drei auf 40 x 40 cm über dem Gipfel trohnen. Da es bereits um 3 Uhr ist, müssen wir uns auf den Rückweg machen. Ed geht voraus und schießt noch das heutige Foto des Tages, bevor ich mich auch auf mache. Stück für Stück tasten wir uns voran. Was wir auf dem Hinweg super viel gequatscht und gelacht haben, ist jetzt höchste Konzentration gefragt. Keiner will ausrutschen, abrutschen oder gar fallen. Der erste der den Boden küsst ist Ed. Ich folge und Jary lässt auch nicht lange auf sich warten. Gottseidank nie an Stellen, die wirklich sehr gefährlich waren. Zu meiner Überraschung geht es besser abwärts, als ich erwartet hätte. Meine Füße wissen, wo sie hin treten müssen, die Hände klettern auch die ganze Zeit mit und der Po diesmal auch. Manchmal müssen wir rückwärts absteigen, aber im Grunde ist alles halb so schlimm. Ich hatte mir viel zu sehr Sorgen gemacht beim Aufstieg. Als wir am Kamm zwischen beiden Gipfeln alle heile ankamen, viel ein riesen Stein von unseren Herzen. Zwar würde der ein oder andere ein paar blaue Flecken und Wunden davon tragen, aber der Weg und erstreckt sie Aussichten waren es wert. Ich habe gottseidank nur zerkratzte Beine von den vielen Kakteen am Wegrand, die Teil des Weges werden wollten. Nun könnten wir in aller Ruhe den Rest absteigen, mussten uns trotzdem randhalten, da die Sonne bereits hinterm Berg verschwunden war. Nun fing die Quatschphase wieder an und ich musste ab und zu anhalten, weil ich so stark lachen musste. Als wir wieder vom Berg herunter waren und auf den Schotterweg kamen, dämmerte es bereits. Die Bergkette vor uns war von der untergehenden Sonne rosa gefärbt. Links und rechts Blumenwiesen, rechts immer noch der Blick aufs Kap über dem False Bay. Jary beschrieb  den Moment, der eine halbe Stunde lang andauerte sehr schön: Wir laufen gerade wahrhaftig in einem Bild. Alles ist so perfekt. Wir sind ausgeliefert und ausgeglichen und wir dürfen Teil dieser wunderschönen Kulisse sein. Dies ist wirklich mein bisheriger Lieblingsmoment in Afrika. Wir laufen stumm hintereinander her und genießen den Augenblick. Die Beine laufen von ganz allein und finden ihren Weg zum Auto zurück. Pünktlich mit Ankunft der Dunkelheit steigen wir ins Auto und fahren nach Stellenbosch. Sobald die Sonne weg ist, wird es super kalt. Wir gönnen uns also angekommen im Hostel jeder eine heiße Dusche und gehen dann um die Ecke in ein Restaurant. Wir haben alle so sehr Hunger, dass sich jeder 2 Hauptgerichte bestellt. Ich bin noch immer super kalt, also gibt es Roibos-Tee, eine heiße Suppe und einen Flammkuchen. Als Dessert noch einen Chai und ich bin aufgewärmt. Jetzt müssen mich die kalt gewordenen Beine nur wieder zurück zum Hostel tragen und ich falle ins Bett, sodass ich nicht mehr fähig bin, mein Tagebuch noch am gleichen Abend zu schreiben.

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