
Tag 3 fängt eigentlich noch an Tag 2 an, da wir 23:30 geweckt wurden, um uns fertig zu machen. Nachdem es ein paar Kekse gab und wir uns fertig gemacht haben, gingen wir jeweils zu unserem zugewiesenen Guide, meiner war Eolo. Wir starten also als erstes. Der Helm ist auf und die Stirnlampe an. Der Himmel nicht sternenklar aber man sieht einige durchfunkeln. Die Temperaturen bei etwa -10°C, windstill, ohne Regen. Ich will losspurten, doch Eolo, dem ich folgen muss, dämmt das Tempo extrem ein. Nach nur einem kurzen Stück, kommen wir zu einer fast senkrechten Felswand, die mir überhaupt nichts ausmacht. Mit meinen stocksreifen Plastik-Bergstiefeln mache ich mich glaube besser, als Eolo erwartet hat. Das Walkie-Talkie kommt also zum ersten Mal zum Einsatz. Er fragt, ob die Gruppen so bleiben sollen oder ob man nicht lieber mich mit dem Australier zusammenstecken sollte. Es wird aber erstmal dabei belassen. Nach 1 Stunde schweißtreibender Kletterarbeit stoßen wir auf den Gletscher. Hier werden die Steigeisen angezogen und der Eispickel in die Hand genommen. Außerdem geht es von hier an, in der Seilschaft weiter. Es ist einfach zu gefährlich irgendwo abzustürzen oder gar in eine Gletscherspalte zu fallen. Der Plan ist, alle 100 Höhenmeter einen Stop einzulegen, was auch am Anfang gut klappt. Beim 2. Stop, müssen wir dann warten. Es soll getauscht werden. Von jetzt an laufe ich mit Billy aus Australien und Eolo unserem Guide, der schon seit 25 Jahren diesen Berg besteigt in einer Seilschaft. Dementsprechend sicher fühle ich mich also auch. Die anderen 2 Seilschaften bestehen aus Carlos als Guide, gefolgt von Luca aus Deutschland und Harm aus Holland und Ivan als Guide mit Mayu aus Japan. Wir sind also gut sortiert und gehen es in Angriff. Team Carabiñeros macht sich auf den Weg zum Gipfel. Meine Seilschaft stets voran, von unten höre ich Harm unseren Ohrwurm seit 3 Tagen singen und stimme laut mit ein “Si antes te hubiera conocido” von Karol G. Wir sind super gut drauf und ziehen sogar andere Seilschaften, ein Paar Lieder für unseren weit weg liegenden erträumten Gipfelsieg auszusuchen, mit in unseren Bann. Hoch auf der Liste stehen: “I can be your Hero, Baby” von Enrique Iglesias, “Eye of the tiger” von Survivor, “Simply the Best” von Tina Turner oder auch ” I’m so excited” von The Pointer Sisters. Die meisten sind aber schon so mit sich selbst beschäftigt, dass sie entweder schon ziemlich umhertorkeln, sich bereits jetzt auf den Weg übergeben müssen, was später noch viel häufiger geschehen wird oder direkt aufgeben und umdrehen. Wir fühlen uns super, also zeigen wir das auch. Bald wird aber auch uns die Luft zu dünn und wir konzentrieren uns lieber aufs atmen. Immer wenn wir unsere Pause beenden, folgt die 2. Seilschaft von Carlos und nimmt unseren Platz ein. Dann folgt ein Stück, was mir schon beim Anblick Sorgen bereitet. Super steil geht es bergauf. Im losen Schnee bringen meine Steigeisen gar nichts. In der einen Hand den Eispickel, die andere Hand versucht verzweifelt Griffe zu suchen. Ich kämpfe mich einen Schritt nach oben und rutsche die Hälfte oder Alles direkt wieder nach unten. In einer Rinne, die nicht breiter ist, als ich selbst. Ich bin völlig außer Atem, aber ich muss mich etwa 50 m nach oben kämpfen. Oben angekommen, habe ich eine eiskalte Hand und wir machen eine super lange Pause, bis sich mein Atem wieder erholt hat. In der Zeit stoßen auch die anderen beiden Seilschaften zu uns. Alle verfluchen dieses Stück. Wir sind jetzt bei 5700hm nachdem wir bei 5130hm gestartet waren. Bisher war eigentlich alles super, bis auf dieses Stück, was all meine Kraft geraubt hat. Nicht nur meine, auch Mayu ist am Ende und verlässt unser Team und kehrt zurück zur Hütte. Für uns andere geht es weiter. Jetzt sind wir an dem Punkt, dass wir ständig eine Pause brauchen. Dadurch, dass ich als letztes laufe, sehe ich, wie oft Billy hin und her torkelt, ihm die Beine wegsacken und er hinfällt. Ich kann mich gottseidank gut auf den Beinen halten, aber bin jedes Mal froh, wenn er um eine Pause bittet. Noch immer ist es dunkel, es ist Vollmond, der im Zusammenspiel mit dem Schnee eine recht gute Übersicht gewährt, Details kann man aber bei Weitem nicht ausmachen. Das einzige, was man sieht sind kleine Wassertröpfchen, die im Licht der Stirnlampe tanzen, wir laufen also in den Wolken und links hinter der Bergkette erblickt man manchmal, wenn sich die Wolkendecke öffnet, die funkelnden Lichter von La Paz, die auch den Himmel orange färben, als wäre es Sonnenaufgang. Aber der steht uns noch bevor. Bei 5900 hm legen wir unser Gepäck ab, denn jetzt wird es wieder steiler. Nicht nur steiler auch der Weg ist nicht mal so breit, dass beide Füße nebeneinander Platz finden würden und daneben geht es super steil bergab. Ab jetzt heißt es also konzentrieren und alle Kraftreserven beisammen halten. Mittlerweile fragen wir beide ständig nach einer Pause. Die Atmung kommt einfach nicht mehr hinterher und die Beine werden mit jedem Schritt schwerer und schwerer. Billy fällt immer noch an den unmöglichsten Stellen hin, aber schafft es jedes Mal, dass er nicht abstürzt und wir ihn mit dem Seil auffangen müssen. Er ist auch viel näher an Eolo dran, als an mir. Eolo scheint sich um mich keine Sorgen zu machen, aber das Seil zu Billy ist fast immer gespannt. Wir sehen die Lichter der anderen Seilschaften weit oben in der Dunkelheit herumirren, nur den Gipfel können wir nicht ausmachen. Je weiter hoch wir steigen, umso klarer wird es, bis wir zusammen mit der Sonne über die Wolkendecke treten und der Gipfel erkennbar wird. Er ist echt nicht mehr weit weg und doch immer noch so unerreichbar. Der Schnee hat eine so blöde Konsistenz, dass von jedem Schritt etwas Energie verloren geht. Wie ausgepowert wir sind, zeigt das Beispiel, als wir 50 m vor dem Gipfel waren und der Weg fast waagerecht war. Auch wenn wir Eolo etwas nervös machten oder seine Nerven strapazierten, müssten wir während dieser 50m noch 2 Mal eine kurze Pause machen, bevor uns die Gipfeleuphorie packte. Jeder gratulierte sich gegenseitig. Irgendwelche Guides hatten Bier mit hoch getragen. Es wurden Fotos geschossen, während ich einfach nur still an meinem Abgrund saß und in die Ferne starrte. Vor meinen Augen schauten die Bergspitzen der gesamten Cordillera Real heraus. Habe ich gerade wirklich den Huyana Potosí mit 6088hm bestiegen? Bin ich gerade wirklich hier oder ist das nur ein Traum? Auch wenn es kein Traum ist, bin ich doch wie in Trance. Während der Strapazen nach hier oben, habe ich mir geschworen, das werde ich nie wieder machen. Ich war tapfer und habe mich super durchgekämpft und durchgehalten, aber wenn ich gesehen habe, wie es mehr als der Hälfte der Bergsteiger ergangen ist und auch mir, werde ich keinen 6000er oder höher in Angriff nehmen. Trotzdem bin ich unfassbar stolz auf meine Leistung. Wir sind heute 14 Leute, die es auf den Gipfel geschafft haben, davon nur 2 Frauen und eine davon bin ich. Wow! Selbst alle Guides sind Männer. Irgendwann bin ich auch wieder mehr bei mir und kann aktiv sein. Am Fotoshooting teilnehmen, Witze reißen. Doch den Gipfel mit -20 Grad trotz mittlerweile knallender Sonne sollten wir nicht so lange genießen. Unsere Augen drohen schneeblind zu werden, unsere Haut verlangt nach Sonnencreme und der Berg wird mit jeder weiteren Sekunde der Sonneneinstrahlung unberechenbarer und gefährlicher. Da ich im Aufstieg hinten war, darf ich jetzt den Weg und das Tempo im Abstieg leiten. Wir gleiten mehr nach unten, als dass wir vorsichtig Bergsteigen. Eolo mag das Tempo, für Billy ist es ein Wenig zu schnell, also versuche ich irgendwas zwischen langsam und schnell zu finden. Bei unseren Rucksäcken angekommen, wird möglichst schnell die Sonnenbrille aufgesetzt und Sonnencreme aufgetragen. Jetzt ist es richtig angenehm warm und wir kommen zum ersten Mal nach 7 Stunden des Aufstiegs dazu an einen Snack zu denken. Wir brezeln uns also in die Sonne und genießen unser Essen. Eolo wird nervös und heizt uns an, weiter zu gehen, aufgrund der zunehmend schlechten Schneeverhältnisse. Noch immer darf ich vorausgehen. Es ist super schön, all dass, was man heute Nacht im Dunkeln gegangen ist und sich seine Vorstellungen daraus gemacht hat, nun bei Tag zu sehen. So viele Gletscherspalten, so viele Eisformationen. Ich weiß der Schnee ist am Schmelzen, aber für Fotos ist doch wohl noch Zeit. Die anderen beiden bleiben immer geduldig hinter mir stehen und weiter geht’s. Und dann falle ich doch auch mal hin, an einem ziemlich steilen Stück in einer Rinne. Ich denke mir, wieso nicht direkt auf dem Hintern nach unten rutschen und dann sehe ich es. Verdammt, da kommt eine Spalte. Ich ramme Steigeisen, sowie Eispickel in den Schnee und komme gottseidank schnell zum Stehen bzw. in meinem Fall zum Sitzen. Billy scheint das Ganze gefallen zu haben und kommt hinterher. Er weicht nach rechts aus, da ich auf einmal stehen geblieben bin und saust geradewegs auf eine noch viel furchterregender Spalte zu. Da ich noch in der Rinne bin, er aber nicht, packe ich ihn und kann ihn halten. Eolo macht nichts. Vermutlich wollte er uns eine kleine Lektion leeren, was aber auch richtig ins Auge hätte gehen können. Am Seil waren wir ja trotzdem noch. Von da an entschieden wir trotzdem, dass es nicht sitzend, sondern laufend weiter geht. Das Stück, was uns im Dunkeln allen die Kraft geraubt hat, war nun auch im Hellen nicht besser. Nun kam noch die nackte Wahrheit des Angesichts hinzu. Und dem mussten wir ins Auge schauen. Dem Abgrund. Ich frage 2 mal bei Eolo nach, wie ich da runter soll. Er als alter Hase: Benutze dein Equipment. Erster Versuch und ich rutsche aus und kann mich nach 2 m fallen irgendwie mit all dem, was ich habe, verteilen und stehen. Aufstehen ist nur extrem schwer. Selbst ich habe hier etwas Angst. Ich erinnere mich an gestern, an die Techniken, die wir gelernt haben und wende eine an. Uno, dos, tres. Es klappt, also weiter mit Uno, dos, tres. Billy schaut sich das Ganze an und macht es mir nach. Ich habe die ganze Zeit Angst, dass er abrutscht und mich einsammelt. Bleibe aber still und spreche es erst gar nicht aus. Das Seil zwischen Eolo und Billy ist extrem gespannt, was mich beruhigt. Später erfahren wir, dass Luca aus der anderen Seilschaft genau hier abgestürzt ist und von seinen Kameraden im Seil aufgefangen wurde. Bei uns war also alles recht harmlos. Nach diesem Stück brauchten wir wieder eine kleine Pause und es ging weiter, aber wohin? Ist meine Sonnenbrille beschlagen? Nein. Ohne Sonnenbrille sehe ich genauso wenig wie mit, also wieder auf damit. Eolo drängt von hinten, geh weiter Pati! Ich sehe aber nichts. Ich habe ein völliges Whiteout. Für alle, die nicht wissen, was ein Whiteout ist: man sieht einfach nur noch weiß, überall, wo man hinschaut. Im Himmel, am Horizont, am Boden, keine einzige Kontur. Und dann finde ich sie doch, die Kontur der Eispickel, die in den Schnee gesteckt wurden am Rande des nicht ersichtlichen Weges, um Halt zu finden. Also orientiere ich mich von nun an daran. Als der Schnee aufhört, wurde das Seil gelöst, die Steigeisen wieder ausgezogen und sich wieder die fast senkrechten Felswand nach unten gekämpft. Eolos Mission scheint hier beendet, da er uns etwas davonrennt und wir unseren eigenen Weg finden müssen. Im High Camp angekommen, sacken wir in unsere Betten. Mayu bringt uns Coca-Tee und ist extrem stolz auf uns. Wir kriechen langsam aus unseren Sachen in unsere Schlafsäcke und berichten von unseren Erlebnissen. Nach etwa einer halben Stunde trifft auch die Seilschaft von Carlos ein. Kaum da, gibt es schon Mittagessen um 10 Uhr. Ich bekomme die Suppe nicht herunter. Kaum haben die anderen aufgegessen, müssen wir schon wieder alles zusammenpacken. Ich versuche mir noch 3 Löffel hereinzuzwängen, doch lasse sie dann stehen und beginne auch zu packen. Als wir fertig sind, wandern wir alle gemeinschaftlich mit schwerem Gepäck wieder herunter zum Basecamp. Es ist viel schöner wieder mit flexiblem Schuhen und Wanderstöcken unterwegs zu sein. Anstrengend ist es doch immer noch, da wir ein ordentliches Tempo drauf haben und der Weg nicht der einfachste ist. Angekommen, werden nun wir wieder von der nächsten Truppe ausgefragt und wieder sind es extrem viele Leute. Ich bin super glücklich mit meiner Truppe gewesen. Im Bus nach La Paz schlägt dann der Hunger zu, wir machen gemeinsame Pläne für die nächsten Tag und eine gemeinsame WhatsApp-Gruppe, um alle Erinnerungen zu teilen. In La Paz angekommen, gehen Luca und ich wie schon vorher ins gleiche Hostel und holen uns direkt was zu Essen. Im Hostel-Restaurant treffen wir dann auf ein mir bekanntes Gesicht aus Cusco (Peru) wir lachen herzlich, plauschen kurz und gehen dann jeder unserer Wege. Eine heiße Dusche, ein bequemes Bett und Telefonsignal, mehr brauche ich heute nicht mehr.